ist das Ergebnis universeller Vollkommenheit.
(Giovanni Campisi)
AUF DER SUCHE
NACH DEN
EINTAGSFLIEGEN
VORWORT – KURT F. SVATEK
Nichts kommt aus dem Nichts
Vasiliki Dragouni’s Geschichten ermöglichen einen ganz
besonderen Blick auf die Welt. Was ist Fiktion und was ist die Realität des
prallen Lebens, und vermischen sich nicht beide ohnehin im Alltag, selbst wenn
es weh tut? Ist die Realität ohne Visionen überhaupt ertragbar, ohne die Möglichkeit
der Flucht aus dem einen oder anderen Moment? Vielleicht muss der Mensch auf
Entdeckungsreise gehen, jenseits der ausgetretenen Pfade geheimnisvolle Orte
aufsuchen, um sich dort seiner selbst bewusst zu werden.
Die avantgardistische Form der Texte begünstigt es,
die Handlung so straff wie möglich zu halten und rasch auf den Punkt zu
bringen.
Viele Geschichten erinnern an den Symbolismus etwa
eines Edgar Allen Poe. Auch wegen der ausgefeilten Kunstfertigkeit und der
manchmal beklemmenden Erkenntnis, dass es eben keinen Ausweg gibt. Es geht eben
nicht um billige Anreize, sondern vor allem um Magie, um Visionen, die das
Leben belagern können, aber auch erst erträglich machen. Es sind Geschichten
von Augenblicken, begeisternd, sinnlich, zwischen Vertrauen und Misstrauen,
zwischen Vergessen und nicht vergessen können oder wollen. Die menschliche
Natur bedient sich da immer wieder neuer Experimente, um nicht in der
gesellschaftsbezogenen Wirklichkeit zu landen. Die Elemente des realen Lebens
werden in Bildzeichen zerlegt, die Phantasie erzeugt eine autonome Welt, die
symbolhaft die geheimnisvollen Zusammen hänge zwischen den Dingen, die hinter
allem Sein liegen, erahnbar und im günstigsten Fall sogar erfahrbar machen.
Wer ist der Fremde, der da des Öfteren auftaucht und
wieder verschwindet? Ist er auch ein Symbol für das Fremde in uns?
Von der Kürze her erinnern die Geschichten auch an die
von der iberischen Halbinsel und aus Lateinamerika stammenden „microcuentos“.
Diese Form hat sich im Lauf des 20. Jahrhunderts zu
einer eigenständigen Gattung entwickelt und strahlt längst in andere Teile der
Welt aus. Manche sagen, sie sei die jüngere Cousine der französischen Gattung
des Prosagedichtes. Andere Bezeichnungen wären etwa cuentos brevísimos, oder
nanocuentos. Nanus, im Lateinischen der Zwerg, zeigt schon die Dimension auf.
Und doch gelingt es diesen Zwerglein unter den Geschichten, wesentliche
Bereiche des Lebens in oft nur wenigen Zeilen zu bündeln. Es sind nachhaltige
Schnappschüsse, die, anders als normale Kurzgeschichten, vieles
Ausschmückendes, rein Atmosphärisches aussparen müssen und oft nicht mehr als
eine in sachlicher Sprache verfasste Skizze oder ein essayistisches Fragment
sind. Selbst Hemingway hat solche Geschichten verfasst.
Die Themenstellung ist weit gestreut, meist sehr stark
im Jetzt und Heute verankert. Geschichte wurde viel zu lang meist aus der Sicht
der Mächtigen geschrieben, nicht immer der Wahrheit verpflichtet, sondern dem
politischen Kalkül. Es sind doch oft die Kleinen, die menschlich die Großen
sind. Denn die berühmten Einbahnen gibt es ja kaum, in Wirklichkeit fährt immer
irgendjemand dagegen. Kein Reiseführer kann die Klugheit eines Einheimischen
ersetzen, denn das Gestrüpp ist oft zu dicht, um den Weg hinaus zu finden.
Literatur hingegen steht ihrem Selbstverständnis nach
auf der Seite der Ohnmächtigen, der dem Leben Ausgelieferten. So sind die
Geschichten traurig oder humorvoll, landläufig, wirklichkeitsnah, aber auch
ungewöhnlich, überspannt, romantisch, pathetisch, anekdotisch, fantastisch,
extravagant, aufklärerisch, behäbig oder überspitzt. Sie wahren das Recht des
Menschen, nicht nur fröhlich und erfolgreich sein zu müssen, sondern auch
scheitern zu dürfen, entlarven den trügerischen Alltagstrott, gleiten ins
Spielerische ab und halten sich an keine Grenzen, außer der einer gewissen
Kürze.
Aber sollte nicht jeder gute Text so beschaffen sein,
dass ihn die anderen einfangen, ihn betrachten, Schlüsse daraus ziehen und sich
dann selbst Gedanken machen?
Vasiliki Dragouni’s Geschichten sind ein kleiner Snack
vom Büffet des Lebens, von einem köstlichen Büffet, von dem man sich nur das
Richtige heraussuchen muss. Der Appetit danach ist groß.
Kurt
F. Svatek
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